2005

„Die Christianisierung der germanischen Stämme vor Bonifatius“

Nach einem Vortrag von Herrn Prof. Dr. Kathrein, Fulda

„Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns“ ! (Apostelgeschichte 16, 9 )

Mit diesem Satz eines Mazedoniers an Paulus begann die Christianisierung Europas.

So kamen sie auch nach Philippi (Philippi war eine römische Kolonie; Kaiser Augustus hatte dort römische Kriegsveteranen mit ihren Familien angesiedelt) am Fluss redeten sie mit den Frauen und bekehrten die Purpurhändlerin Lydia mit ihrem Hause aus der Stadt Thyatira. Sie tauften sie und ihre Hausgemeinschaft (die antike Großfamilie ist nicht nur eine Lebens- und Erwerbsgemeinschaft, sondern auch eine religiöse Gemeinschaft), damit war der erste Christ in Europa eine Frau. Die Christianisierung als solches erfolgte nun zunächst entlang des Mittelmeeres, vorwiegend in den größeren Städten und in den Küstengebieten.

Was fanden sie nun bei den Stämmen nördlich der Alpen vor: Völker ohne einheitliche Religionssysteme – keltisches und slawisches Heidentum und den nordgermanischen Götterglauben. Volksstämme, die in der Natur lebten, für die Berge, Wälder und Wasser für ihre Glaubenshaltung vorrangig waren. Sie beobachteten die Natur, achteten auf Sonne, Mond und Wind. Ihre Gotteshäuser waren Waldgebiete, Quellen oder markante Felsen. Dort huldigten sie ihren Göttern. Mit dieser Bevölkerung waren die ersten christlichen Missionare konfrontiert. Die erste Kunde des Christentums wurde schon am Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts ihnen gewahr. Römische Kaufleute, Beamte und Soldaten waren über die Alpen in unsere Heimat gekommen. So war das Kastell Castra Regina (heute Regensburg) schon 179 n. Chr. gegründet worden. Aber immer wieder kam es zu Christenverfolgungen insbesondere unter Kaiser Diokletian (284 – 305 n. Chr.), die auch das oben erwähnte Regensburg nicht verschonten. Einer der bekanntesten Märtyrer dieser Zeit war Florian, er war römischer Soldat und später ein hoher Beamter bei Aquillinus von Lauriacum, heute Lorch. Florian versuchte im Zusammenhang mit der Christenverfolgung seinen Glaubensbrüdern zu helfen. Bei diesem Versuch wurde er festgenommen. Florian lehnte es ab, den römischen Göttern wieder zu opfern und wurde deshalb in dem Fluss Enns ertränkt. Ähnlich erging es der Hl. Afra, die ebenfalls mit den Römern ins Land gekommen war und auf einer Lechinsel in der Nähe von Augsburg auf dem Scheiterhaufen für ihren Glauben starb. Ein frühes christliches Zeugnis ist der Grabstein der Sarmannina in der Nähe von Regensburg, die wohl ein ähnliches Schicksal erlitt. Auch der Hl. Valentin, der Bischof war, hat 268 n. Chr. als Märtyrer ein gewaltsames Ende gefunden. Valentin steht heute noch für die Liebe, die stärker ist als kaiserliche Autorität oder väterliche Willkür. Er ermutigt, an der Liebe zueinander in Treue festzuhalten.

Erst das „ Mailänder Edikt“ Kaiser Konstantins (313 n. Chr.) garantierte Religionsfreiheit im römischen Reich und stellte somit das Christentum den anderen Religionen gleich. Es sollte allerdings noch ca. 250 Jahre dauern, bis unsere Vorfahren dann wirklich näher mit dem Christentum in Berührung kamen. So war die erste Christianisierungswelle durch die aus dem Schwarzmeergebiet stammenden Goten im Zusammenhang mit der Völkerwanderung zu verzeichnen. Sie durchquerten von dort praktisch ganz Europa, wobei die Westgoten sich erst in Spanien endgültig niederließen, Staatsreligion wurde der Katholizismus aber erst 589 n. Chr. Der bekannteste Christ der Goten war Wulfila (gestorben 385 n. Ch.), der die Bibel in seine Muttersprache übersetzte. Die Glaubensrichtung der Goten war arianisch – nach der Christus nicht gottgleich und ewig, sondern vornehmstes Geschöpf Gottes sei, als „ Logos“ eine Zwischenstellung zwischen Gott und der Welt einnehme. Der Arianismus wurde auf den Konzilen von Nikaia (325 n. Chr.) und Konstantinopel (381 n. Chr.) verdammt. Germanische Stämme, z. B. die Goten, hingen ihm aber bis ins 6. Jahrhundert an.

Dabei muss man betonen, dass wohl bis zum 7. Jahrhundert verschiedene Ausprägungen der Frömmigkeit bei den Germanenstämmen zu beobachten waren. Es handelte sich sicherlich um ein mit vielen alten heidnischen Gebräuchen vermischtes Christentum, vielleicht kann man das mit der Mischung von heidnischen und christlichen Traditionen im heutigen Afrika vergleichen.

Von entscheidender Bedeutung für das weitere Fortschreiten des Christentums ist in der Mitte des 5. Jahrhunderts der Zusammenschluss mehrerer fränkischer Stämme unter Chlodwig, der als der erste König zum Christentum übertrat. Er schuf ein fränkisches Einheitsreich, mit der Hauptstadt Paris, er unterwarf 496 n. Chr. die Alemannen zwischen Main und Alpen, 507 n. Chr. die Westgoten und dann die Thüringer. Es muss aber auch noch an einen anderen Mann erinnert werden, der mit der Brigidenkapelle in Zusammenhang gebracht werden muss, den Hl. Patrik, „ Apostel Irlands“, in Britannien um 385 n. Chr. geboren, in Nordirland 461 n. Chr. gestorben, der Irland und Schottland missionierte. Damit sind wir bei den christlichen Kelten bzw. dem iro-schottischen Christentum. Es ist unklar, wann in Irland das Christentum Einzug hielt. Sagen darüber gibt es zur Genüge, aber es gab auch die traditionsreiche seefahrende Nation, die schon seit Jahrhunderten einen Handel mit Spanien und Gallien pflegte. Sicherlich war in der ehemals römischen Provinz Britannia das Christentum schon frühzeitig bekannt, erlosch aber wieder und verlor an seiner Bedeutung. Bestimmt auch im Zusammenhang mit den keltischen Glaubensrichtungen und der naturgemäßen Oberfläche des irischen Landes entstand ein stark anachoretisches (Einsiedelei) Christentum, das nicht zurückgezogen, sondern voll von enthusiastischem Aktionsgeist war, was sich auch in der Intensität der Missionierung ausdrückte. Der Zug zur Einsamkeit und zur Absonderung trieb sie in die Ferne. Um Christi Willen heimatlos, pilgerten sie durch Gallien und Germanien. Die heilige Pilgerschaft, das Peregrinari pro Christo, war ihr asketisches Ideal. So kamen diese sehr auffallenden Wandermissionare auch in unsere Gegend. Die bärtigen Gestalten, dem typisch kahlgeschorenen, nur von einem schmalen Haarkranz umgebenen Vorderteil des Schädels, von dessen Hinterteil das lange Haar herabfiel, um den Hals die Reliquienkapsel und ein Gefäß zur Aufbewahrung der heiligen Hostien; voll Leidenschaft hatten sie auf der Insel das Christentum aufgegriffen. Diese Sehnsucht trieb sie in die Welt.

Der Name „Brigidenkapelle“ verweist auf eine irische Heilige, geb. 451 oder 452 n. Chr. als Kind fürstlicher Vorfahren, nahm sie 468 n. Chr. den Schleier und ging ins Kloster. Die kleine Kapelle in Cill-Dara wurde später das religiöse Zentrum und Standort einer Kathedrale in Irland. Man kann also davon ausgehen, dass die Brigidenkapelle von iro-schottischen Mönchen erbaut wurde.

Während man bisher die Gründungszeit um 700 n. Chr. vermutete, ergaben im Rahmen von Sanierungsarbeiten gefundene Holzstückchen einen Zeitraum zwischen 543 und 686 bzw. 558 und 667 n. Chr.

Zwei der bekanntesten Vertreter der iro-schottischen Mönche sind der Hl. Columban (ca. 530 – 615 n. Chr.) und der Hl. Kilian, beide in Irland geboren. Kilian kam im Päpstlichen Auftrag nach Würzburg, um dort zu predigen. Er bekehrte den heidnischen Herzog Gozbert und seine Familie. Deswegen musste Gozbert sich von seiner Ehefrau trennen, sie war vorher mit seinem Bruder verheiratet, einem deswegen angezettelten Komplott fiel er mit seinen Gefährten zum Opfer. Die Häupter der drei Märtyrer werden im Dom zu Würzburg aufbewahrt.

Im siebten Jahrhundert (Synode zu Whitby 664 n. Chr.) errang der Papst in England mit Hilfe der iro-schottischen Mönche den Sieg über die Angelsachsen. Damit setzte er zugleich auch römisches Denken durch, das bedeutete: Zentralisierung und Hierarchisierung. Es werden Mönche mit dieser geistigen Haltung gewesen sein, die später auf dem Festland die Kirche aufbauten und in diesem Sinne organisierten.

Mit dem Vordringen der Franken verbreitete sich das Christentum, insbesondere durch die Gründung von neuen Städten und Dörfern, wie oben schon beschrieben, in Germanien. Die Wirksamkeit der iro-fränkischen Mission in diesem Zusammenhang ist schwer abzuschätzen, das Quellenmaterial ist sehr dünn. Sicherlich fanden sie kein reines, innerlich erlebtes Christentum vor, was oben schon einmal erwähnt wurde, es war gemischt mit heidnischen Bräuchen. So findet sich im ältesten bayerischen Gesetzbuch, der „Lex Baiuvariorum“, geschrieben um 630 n. Chr., noch ein Kapitel vom Verhexen der Äcker und Felder. So kommt es mit dem Auftreten der angelsächsischen Missionare, erzogen im Geiste Roms, dazu, eine Einheit des Christentums unter der Hoheit des Papstes herbeizuführen. Die Klöster der christianisierten Kelten waren nicht bestimmten Orden angeschlossen oder einheitlichen Klosterregeln unterworfen, sondern sie waren selbstverwaltete „Bruderschaften“. Auf dem Festland knüpften sie an die schon vorhandene gotisch-arianische Missionierung an. So hielten die Arianer, aber auch die iro-schottischen Mönche Gebetsversammlungen in der Landessprache und nicht in dem für den einfachen Gläubigen unverständlichen Latein ab, so wie es die katholische Kirche vorschrieb. Papst Gregor I. rief im 7. Jahrhundert zur Eroberung des der iro-schottischen Ketzerei verfallenden Landes auf. Papst Gregor II. schickte im 8. Jahrhundert den britischen Mönch Winfrid, später Bonifatius genannt, nach Germanien. Er sollte, immer mit fränkischer Waffenhilfe, die „ Heiden“ bekehren, aber vor allem die iro-schottischen Mönche zur Unterwerfung zwingen. Papst Zacharias befahl dann Bonifatius, dass er es mit „Stumpf und Stiel“ ausrottete. Bonifatius zerstörte nicht nur die „heidnischen“ Naturheiligtümer, er fällte die „Donareiche“ bei Geismar, ohne dass die heidnischen Götter dagegen protestierten, er zerstörte auch auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes die irischen Feldkreuze. Bonifatius beschuldigte die angetroffenen iro-schottisch geprägten Christen auch der Häresie (in der frühen Kirche eine von den Normen der Orthodoxie abweichende theologische Auffassung, später gleichzusetzen mit Ketzerei) und taufte sie, weil sie einem falschen Glauben angehörten, ein zweites Mal. So wurde auf Veranlassung von Bonifatius der Salzburger Bischof Virgil, ein Ire, der von ihm bekämpft und verleugnet wurde, vom Papst wegen seiner ketzerischen Ansicht, die Erde sei eine Kugel, mit einer Vorladung nach Rom bedroht. Papst Zacharias wollte ihn aus der Kirche ausstoßen, was ihm aber wegen der großen Popularität von Virgil nicht gelang. Nach ihm wurden jedoch nur noch romtreue Bischöfe in Salzburg eingesetzt. An die Stelle des freien, naturverbundenen Christentums der Iren trat nun das dogmatisch geprägte, juristisch und theologisch ausgefeilte römische Kirchentum, das den Menschen den Eindruck vermittelte, sie könnten durch äußere Bußübungen oder Spenden an die Kirche ihr Seelenheil erringen.

Die besondere geschichtliche Bedeutung von Bonifatius liegt in der gezielten Ausrichtung der von ihm geschaffenen Kirchenstrukturen auf das Zentrum Roms und das Papsttum, so wie er es aus der englischen Kirchen kannte. Nach einer zunächst etwas missglückten Missionstätigkeit ließ er sich von dem Papst beauftragen, das Christentum, aber insbesondere das Papsttum in die Entwicklung West- und Mitteleuropas einzubinden. Es gelang ihm allerdings nicht, eine von Adelsinteressen freie Kirchenhierarchie durchzusetzen. Mit der Festlegung Roms als Mittelpunkt kirchlicher Organisation legte er einen wichtigen Grundstein zum Entstehen des so genannten christlichen Abendlandes.

Ist Bonifatius nun der Apostel der Deutschen? Diese Definition stammt aus dem 19. Jahrhundert, einem Jahrhundert, dass von der geschichtlichen Auffassung und Interpretation sehr nationalistisch geprägt war, so muss man auch diese Definition bezüglich Bonifatius sehen. Er war geborener Engländer, Abgesandter Roms, der die fränkischen Christen in Deutschland missionierte und in den Niederlanden seinen Tod fand.

Vielleicht sollte man ihn als den „Apostel Europas“ bezeichnen.